// Im Mittelpunkt des Workshops steht eine Figur, deren mediale Erfolgsgeschichte vor mehr als 100 Jahren beginnt und bis in die jüngste Gegenwart hineinreicht: die Figur des Ingenieurs. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wird der Ingenieur in der medialen Öffentlichkeit, in wissenschaftlichen und philosophischen Diskursen, in der Politik, Werbung sowie in Literatur und Film zu einer omnipräsenten Figur. Zu ihren Charakteristika gehört es, dass sie zum einen verschiedene, oftmals gegensätzliche Gesichter aufweist – sei es als humanistischer Held oder Bösewicht, als ›großer Mann‹ oder farbloser Funktionär – und zum anderen von unterschiedlichen politisch-ideologischen Lagern zu einem Helden stilisiert wird. Auffällig ist, dass der Ingenieur, dessen Berufsbild sich im deutschsprachigen Raum im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts formierte (Gründung von Technischen Hochschulen und berufsspezifischen Interessensvertretungen), über alle politisch-ideologischen Grenzen hinweg und ungeachtet seiner verschiedenen Gestalten meist als ein Hoffnungsträger in Erscheinung tritt; als eine Figur, von der das Versprechen ausgeht, eine bessere Welt nicht nur verheißen, sondern auf der Grundlage technischen Wissens auch herstellen zu können.
ZIELE
Ziel des geplanten Workshops ist es, in einem interdisziplinären Gespräch zwischen Literaturwissenschaftlern sowie Wissenschafts- und Technikhistorikern zu einem genaueren Verständnis dieses Phänomens zu gelangen. Dabei soll sowohl nach den Wandlungen und unterschiedlichen Profilen dieser verheißungsvollen Figur gefragt als auch untersucht werden, unter welchen historischen und medialen Voraussetzungen ihre Idolatrie jeweils erfolgt. Der Fokus des Workshops ist damit nicht so sehr auf die Entwicklung des Ingenieurberufes gerichtet, etwa auf dessen bereits gut erforschte Disziplinen- und Institutionengeschichte, sondern vielmehr auf die Imaginationen, welche den Ingenieur – oftmals im Gegensatz zu seiner tatsächlichen gesellschaftlichen Situation – evozieren und begleiten.
Themen des ersten Schwerpunkts betreffen die Fragen nach der sich weit verästelnden Präsenz des Ingenieurs in der Avantgarde (z.B. Futurismus) bis hin zu populären oder trivialkulturellen Medien (Film, Science Fiction) und der medialen Öffentlichkeit (Wernher von Braun als ›public engineer‹); die Frage nach den immer wiederkehrenden Mythen (z.B. Prometheus, Dädalus, Faust), auf die sich Heroisierungen des Ingenieurs beziehen; jene nach den geschlechtlichen Codierungen dieser vorwiegend männlichen Figur; weiter die Frage nach der darstellerischen Abgrenzung des Ingenieurs von anderen Figuren, dem Mathematiker, Naturwissenschaftler oder Architekten, sowie den unterschiedlichen Wissensformen, die bspw. die jeweils spezifischen Arbeitsgeräte dieser Figuren (Schablone, Lineal; Modell; Reißbrett) implizieren.
Themen des zweiten Schwerpunkts betreffen die Frage, inwiefern gerade nach den beiden Weltkriegen, welche die Gräuel der Technik in besonders drastischer Weise offenbarten, eine Heroisierung der Ingenieure wieder möglich wurde. Hierbei könnte sich eine Analyse der technikkritischen Diskurse in der Literatur und Philosophie als hilfreich erweisen, in denen der technische Scharfsinn der Ingenieure (lat. Ingenium: Geist, Scharfsinn) im Mittelpunkt steht, wo aber auch dessen destruktive Potentiale thematisiert werden. Zu fragen wird auch sein, inwiefern die Wirkungsmacht dieser Figur nicht nur dem Rückbezug auf Mythen geschuldet ist, die Wiedererkennbarkeit garantieren, sondern ebenso deren Aufladung durch die zum jeweiligen Zeitpunkt neuen Medien (Werbeplakat, Fernsehen, Internet).
WEITREICHENDE PERSPEKTIVEN
Die Karriere der Ingenieurfigur zu analysieren und besser zu verstehen, verspricht nicht zuletzt Aufschlüsse über ein Problem von höherer Allgemeinheit: die auch gegenwärtig brisante Frage, wie gesellschaftliche Hoffnungsträgern gemacht sind. Welche Rolle spielt dabei die Übertragbarkeit typischer professioneller Tätigkeiten (z.B. des Planens und Konstruierens) auf andere Felder, wie z.B. Politik oder Wirtschaft? Lassen sich vergleichbare Prozesse, etwa mit Blick auf eine Figur wie den Manager, auch heute beobachten? Inwiefern ist ein Maß an Unbestimmtheit notwendig, damit eine Anverwandlung seitens unterschiedlicher ideologischer Kontexte möglich wird, die diese Figur dann mit verschiedenen Indizes ausstatten? Kurz: Welche Geschichten müssen erzählt und welche Figuren erfunden werden, um Gesellschaften das Versprechen einer besseren Welt zu verheißen.
PROGRAMM 4. MÄRZ
- 14:00 Robert Leucht (UZH), Stefanie Leuenberger (ETH), Jens Thiel (WWU Münster): Einleitung
- 14:15–14:35 Anja Sattelmacher (HU Berlin): Berechnen und Konstruieren. Zur Typologie des Mathematiker-Ingenieurs um 1900
- 14:40–15:00 Tanja Paulitz (RWTH Aachen): Zur Genealogie des Künstler-Ingenieurs: boundary work an der Schnittstelle Technik/Kunst im Zeitraum 1900–1930
- 15:05–15:20 Jens Thiel (WWU Münster): Kommentar
- 15:20–15:50 Diskussion
- 16:30–16:50 Philipp Auchter (UZH): Mafarka der Ingenieur. Die metaphorische Technik des Übermenschen in F. T. Marinettis Futurismus
- 16:55–17:15 Arne Schirrmacher (HU Berlin): Der Ingenieur als Figur in der populärwissenschaftlichen Leserevolution der Weimarer Republik
- 17:20–17:35 Robert Leucht (UZH): Kommentar
- 17:40–18:10 Diskussion
- 21:00–23.00 Pablo Assandri (Zürich): Ingenieure im Stummfilm, Film und Kommentar
PROGRAMM 5. MÄRZ
- 9:30–9:50 Sylvia Wölfel (TU Berlin): "Zuerst das Gefühl, dann das Begreifen, und vielleicht am Ende, die Sicherheit": Zum Verhältnis von Konstruktion und Gestaltung in der Produktentwicklung
- 9:55–10:10 Andri Gerber (ETH Zürich): Wissensgeschichte des Städtebaus: Zum Ingenieurbild der Architekten
- 10:15–10:35 Stefanie Leuenberger (ETH Zürich): Kommentar
- 10.40–11.00 Diskussion
- 11.40–12.00 Skúli Sigurdsson (MPI für Wissenschaftsgeschichte Berlin): Schlusskommentar
- 12.00–12.30 Abschlussdiskussion
Anmeldung bis zum 29.02.2016. Kontaktperson: Robert Leucht, robert.leucht (at) ds.uzh.ch. //